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Hochgeladen am 03.09.2005 von Sebastian Schwaiger

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Textanalyse zu "Das Parfüm"

1 Einleitung

Mit „Das Parfum“ hat Patrick Süskind einen postmodernen Bestseller geschaffen. Wie für dieses Genre üblich, dreht sich auch in diesem Roman alles um den Werdegang des Protagonisten, hier im Speziellen um seine Suche nach der eigenen Identität. Identität, per Definition „die völlige Übereinstimmung einer Person oder Sache mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird“2, ist der abstrakte Begriff, nach dessen Aneignung Jean- Baptiste Grenouille sein ganzes Leben lang strebt. Geboren wurde er 1738 „am allerstinkendsten Ort des Königreichs [gemeint ist das Königreich Frankreich; Anm. d. Verf.]“3, als Sohn einer Fischverkäuferin, als menschenähnliches Wesen, wie der Autor immer wieder betont4. Da seine Mutter ihn verstößt, wird der Säugling von Amme zu Amme weitergereicht, die es alle nicht lange mit ihm aushalten, sich von ihm „leergepumpt bis auf die Knochen“5 fühlen. Darüber hinaus haben sie den Eindruck, dass er nicht rieche6, also keinen Eigengeruch wie für Menschen charakteristisch, habe. Diese Tatsache macht Jean- Baptiste schnell zu einem Außenseiter. Im Alter von acht Jahren wird er an den Gerber Grimal verkauft, der billige Arbeitskräfte benötigt. Bei ihm verdingt sich Grenouille und erweist sich als sehr widerstandfähig Krankheiten gegenüber, was ihn schnell zu einem wertvollen Angestellten macht. Er darf in seiner Freizeit nun die Gerberei verlassen und Paris erkunden. Auf diesen Streifzügen sammelt er alle Gerüche, die ihm vor die Nase kommen, denn er hat etwas Besonderes, bis dahin einzigartiges auf der Welt an sich entdeckt: sein Geruchssinn ist sehr diffizil ausgeprägt, man kann behaupten, dass er einer Hundenase, die als sehr empfindlich gilt, haushoch überlegen war. Seine Jagd nach Gerüchen bekommt einen konkreten Hintergrund, als er eine Lieferung für Grimal tätigen muss: er will Parfumeur, ein Jongleur der Düfte, werden. Es gelingt ihm, bei einem berühmten Parfumeur, Baldini mit Namen, in die Lehre zu gehen. Hier beginnt auch Grenouilles „menschliches“ Dasein, das er gegen sein bisheriges Dahinsiechen eintauscht. Er lernt die Grundfertigkeiten zum Gewinnen von Duftessenzen aus ihren natürlichen Grundstoffen. Während seiner Zeit bei Baldini baut Grenouille seine Streifzüge durch Paris aus und eines Tages trifft er auf einen besonderen, noch nie vernommenen Duft: die Ausdünstungen eines Mädchens. Er ist wie benommen von diesem Duft. Sein Drang diesen Duft zu besitzen ist so stark, dass er nicht davor zurückschreckt, das Mädchen zu töten, um sie „welkzuriechen“7. Nach dem er diesen Duft unvergänglich in seinem Gehirn verankert hat, wird ihm eine zentrale Tatsache klar: „daß sein Leben Sinn und Zweck und Ziel und höhere Bestimmung habe: nämliche keine geringere, als die Welt der Düfte zu revolutionieren; und daß er allein auf der Welt dazu alle Mittel besitze: nämlich seine exquisite Nase, […]“8. Als er nach einiger Zeit erkennt, dass er mit den Techniken, die Baldini ihn gelehrt hatte, nicht allen Stoffen, als Beispiele seien Steine, Metalle oder auch Tiere genannt, den Duft rauben kann, stürzt ihn das in eine depressive Phase. Auf sein Drängen eröffnet Baldini Grenouille die Option nach Grasse [das damalige Zentrum der Parfumproduktion; Anm. d. Verf.] zu wandern, um dort weitere Möglichkeiten der Duftextraktion kennen zu lernen. Mit einem Gesellenbrief in der Tasche bricht der mittlerweile 18-Jährige auf. Auf seiner Wanderschaft wird ihm der stickige menschliche Geruch immer mehr zuwider, so dass er seine Wanderung und damit sein Ziel, der größte Parfumeur aller Zeiten zu werden, zurückstellt und sich in einer Höhle im Plomb du Cantal [Dieser abgelegene Ort befindet sich lt. Autor „etwa fünf Tagesreisen südlich von Clermont, auf dem Gipfel eines zweitausend Meter hohen Vulkans namens Plomb du Cantal.“9; Anm. d. Verf.], in welcher laut seiner Nase noch nie ein Mensch verweilt hat, niederlässt. Er ist nun vom „allerstinkendsten“ zum „menschenfernsten“ Ort10 gewandert. Als ihm dies bewusst wird, befällt ihn ein Glücksgefühl, wie er es bisher nur ein einziges Mal empfunden hatte: bei der Eroberung des wunderbaren Mädchenduftes11 . Im hintersten Winkel dieser Höhle wird er die nächsten sieben Jahre seines nur innerlich stattfindenden Lebens verbringen.

2 Bedeutung von Identität in „Das Parfum“ und im Alltag

2.1 Grenouille als Suchender seiner Identität
Während dieser Zeit beschäftigt sich Grenouille ausschließlich mit sich selbst, die Abgeschiedenheit in der Höhle hilft Grenouille entscheidend bei der eigenen Menschwerdung12, wenn er selbst auch zu einem Menschenhasser wird, der er bis zu seinem Tod bleiben wird. Er versucht sein bisheriges Leben, d. h. seine bisherigen Erinnerungen an Düfte aller Art, zu ordnen. Dieses Verhalten lässt sich als das „Abstreifen“ seiner alten Lebensweise, seiner Identität interpretieren.

2.1.1 Grenouilles bisherige Identität
Süskind vergleicht Grenouille in diesem Kontext mit Menschen, die ebenfalls die Einsamkeit suchen: „Büßer, Gescheiterte, Heilige oder Propheten.“13 Die sozialen Identitäten von Angehörigen dieser Menschengruppen spiegeln im Kern auch Grenouilles Charakter wider: er ist daran gescheitert, allen Dingen den Duft zu rauben, wie Propheten wird er in der Abgeschiedenheit eine Eingebung erhalten, die sein bisheriges Wissen über den „äußeren“ Grenouille in Frage stellt und ihn in eine Identitätskrise stürzt.. Die Erwähnung von Angehörigen der Geistlichkeit soll später genauer erläutert werden. Einzig als Büßer kann man ihn nicht verstehen, empfindet er schließlich für seine bisherige unmenschliche Tat, den Mord, keine Reue.

2.1.1.1 Grenouilles bisheriges Gefühlsleben
Zu seiner Umwelt pflegte Grenouille in seinem alltäglichen Leben keine freundschaftlichen Kontakte. Das Einzige, was er von ihr behielt, war ihr Duft, dessen Prinzip er akribisch abspeicherte. Freude oder Glücksgefühle empfand er bisher nur, als er sich des Duftes des Mädchens versichert hatte, in dem Bewusstsein, ihn nie wieder hergeben oder teilen zu müssen. Andererseits ertrug er auch sein Leid ohne Murren oder Wimperzucken, man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass dieses Menschlein zu keiner Schmerzempfindung fähig ist.

2.1.1.2 Grenouille als anspruchsloser Mensch
Grenouille waren Werte der französischen Bevölkerung, auch der Menschheit allgemein, fremd, die er nur während seines kurzen, sporadischen Schulbesuchs an Ansätzen vermittelt bekam. Vor seiner Ankunft am Plomb du Cantal und der folgenden Neuorientierung verhielt er sich in der Gesellschaft unauffällig, kommunizierte mit ihr so viel, wie es für seinen materiellen Fortbestand von Nöten war. Er bevorzugte nicht feine Kleider oder Speisen. Was seinen Selbsterhaltungstrieb angeht, bemühte er sich lediglich um sein tägliches Brot, lebte „von der Hand in den Mund“. Eine Karriere mit dem damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg strebte er nicht an und obwohl er seinen Arbeitgebern zu ordentlichen Erträgen verhalf, beanspruchte er keinen Anteil dessen. Er war wie ein „Zeck“.

2.1.2 Grenouille der Schizophrene
Grenouille ist in seiner Höhle zwiegespalten. Einerseits der äußere Grenouille, der sich von Flechten, Moos und rohem Fleisch ernährt, nun wohl am Weitesten von dem entfernt ist, was man heutzutage als einen zivilisierten, der Gesellschaft angepassten, Menschen bezeichnet. Seine Zivilisierung beginnt erst nach seinem Aufenthalt in der Höhle. Die zweite Persönlichkeit ist jene, die man als innerer oder göttlicher Grenouille bezeichnen kann, der Schöpfer eines grandiosen gedanklichen Duftimperiums. Grenouille bildet sich vorerst virtuell seine persönliche, individuelle Identität, die er später auf den äußeren Grenouille zu übertragen versucht, auf dass beide wieder eins werden.

2.1.2.1 Grenouille als Einsiedler
Er ist ein „resistentes Bakteriums“15, das an seine Umwelt nicht mehr "als seinen Kot" abgibt. Während seiner Zeit auf dem Vulkan verwahrlost er äußerlich, benutzt er doch seine gesamte Energie dazu, den inneren Grenouille im herrlichsten Licht erscheinen zu lassen. Seine Kleidung ist dem Verfall gewidmet, seine Schuhe schon seit langem vermodert.

2.1.2.2 Grenouilles Apotheose
Wenn Grenouille auch nicht wusste, wie er es nennen sollte, abstrakte Begriffe wie Identität, Gewissen und Moral waren in seinem Wortschatz nicht zum Dauergebrauch enthalten17 , bildete sich Grenouille in der Einsamkeit des Berges eine persönliche Wunschidentität, die sich auf sein in gleichem Maße geniales wie krankes Wesen stützte. Als ersten Schritt verschaffte er sich Klarheit über sein olfaktorisches Wissen: er ordnet die gesammelten Gerüche in seinem „inneren Imperium“18, bringt sie in eine „systematische Ordnung“19, lässt nun seine Vergangenheit hinter sich indem er alle unliebsamen Düfte in dessen hintersten Winkel seines „Grenouillereich[es]“20 verbannt und sich an den ihm Wohlbehagenden bis zur Ekstase, bis zum Wahnsinn, an den „Millionen und Abermillionen von Duftbauklötzen“21 ergötzt. Die „Flaschen“22 mit den verhassten Düften, einem Alkoholkranken gleich, leerend, schwelgt er in „Ekel und Hass“23 . Er verabscheut „den feindlichen, dampfigen Dunst der Schlafstube von Madame Gaillard [Amme, bei der er seine frühe Kindheit verbrachte; Anm. d. Verf.]; […] den hysterischen, heißen mütterlichen Schweiß der Amme Bussie[eine weitere Amme Jean-Baptists; Anm. d. Verf.]; den Leichengestank des Cimetière des Innocents [Gebäude in Paris, in das sterbende Menschen gebracht wurden; Anm. d. Verf.]; […]“24 . Während er äußerlich in seiner Gruft vegetiert, erschafft er sich innerlich sein eigenes Reich von nie dagewesener Schönheit. Er kreiert aus den „Konturen aller [in seinem Gehirn eingebrannten] Gerüche“ eine Welt voller Wohlgeruch. Zu Recht darf er sich hier als Gott und Herrscher über diese, seine, Traumwelt fühlen. Patrick Süskind macht diesen Gedankengang deutlich, indem er sich bei der Beschreibung von Grenouilles Bemühungen auf seiner gedanklichen „Baustelle“ seiner Wunschidentität des Weltenberrschers der biblischen Schöpfungsgeschichte bedient: „Und als er sah, daß es gut war und daß das ganze Land von seinem göttlichen Grenouillesamen durchtränkt war, da ließ der Große Grenouille einen Weingeistregen herniedergehen, […], und die Saat trieb aus, daß es das Herz erfreute. […]. Da gebot der Große Grenouille Einhalt dem Regen. Und es geschah.“ An dieser Stelle soll an die Aufzählung der Einsiedler erinnert werden.
Bei der Arbeit an seiner Welt kommt es jedoch zur „Katastrophe“: Er bemerkt etwas am äußeren Grenouille, dass auch den inneren nicht kalt lassen kann. Ihm wird mit einem Schlag bewusst, dass er ein entscheidendes Utensil für eine soziale Identität, die er als Grundlage für seine Traumrolle als Herrscher über die Welt, als „größter Parfumeur aller Zeiten“29 , benötigt, nicht besitzt: einen menschlichen Eigengeruch. Er verwendet zum Ausdruck dieses entsetzlichen Gefühls seit langer Zeit wieder ein anderes Organ als seine Nase: er schreit wie er seit seiner Geburt nicht mehr geschrieen hat, als er das erste Mal in Lebensgefahr war. Der bisher kaltblütige und berechnende Grenouille stürzt in ein Loch, dem er nur durch Bewältigung dieser ihn teilenden Identitätskrise entsteigen kann.

2.1.3 Der neue Grenouille
Von dieser Erkenntnis gedrängt, beschließt er seinen Weg nach Grasse, „der gelobten Stadt“, fortzusetzen. Der „Zeck“ Grenouille regte sich wieder30 . Nach kurzer Zeit erreicht er Pierrefort. Die Spuren, die seine Einsiedlerzeit an seinem Körper hinterlassen hat, sind nun im Licht, das in seiner Höhle nie auf ihn fiel, deutlich zu erkennen. „Er sah fürchterlich aus. Die Haare reichten ihm bis zu den Kniekehlen, der dünne Bart bis zum Nabel. Seine Nägel waren wie Vogelkrallen.

2.1.3.1 Grenouilles Veränderungen im Hinblick auf sein äußeres Erscheinungsbild
In der Stadt nimmt sich ein Marquis seiner an, welcher den äußeren Grenouille runderneuert und ihn resozialisiert sowie ihn die Grundlagen des sozialen Umgangs lehrt, so dass er sich nun zum ersten Mal „bewusst“ durch die Öffentlichkeit bewegt. Ein Problem ergibt sich dadurch jedoch: da es ihm an Eigengeruch mangelt, muss Grenouille seine soziale, menschliche Identität durch Täuschung seiner Umwelt erzeugen um sie nicht zu verängstigen. Er schmückt sich mit „falschen Federn“32 und erschafft sich eine olfaktorische Identität indem er den menschlichen Standardgeruch herstellt und sich damit umgibt. Er tritt hier erstmals in der realen Welt als Schöpfer, Schöpfer seiner Identität, auf. Ein folgender Test seines Gebräus und die Wirkung desselbigen auf die Stadtbewohner verstärkt in ihm seine Abscheu den anderen, durch eine einfache Duftnote zu täuschenden Menschen, gegenüber.

2.1.3.2 Grenouilles Veränderungen im Hinblick auf sein inneres Leben
Innerlich ist Grenouille immer noch der Weltenbeherrscher, der „omnipotente Gott des Duftes“ . Grenouille entwickelt sich gedanklich nun zu einem Scheusal wie es der Autor schon an mehreren Stellen beschrieben hat. Sein neues Lebensziel nimmt nun immer konkretere Formen an: Es reicht ihm nicht, dass die Menschen ihn wahrnehmen, nicht vor ihm zurückschrecken wenn er auf der Straße lustwandelt, er will, dass die Menschen ihn lieben, ihn vergöttern bis zum Wahnsinn. „Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen.“ Er will einen so exquisiten Duft generieren, wie ihn noch nie eine menschliche Nase -auch die Grenouilles nicht -vernommen hatte. Damit kann er seine Phantasien, seine neue Lebensaufgabe, seine Vereinigung feiern. Er will “seines Inneren sich entäußern, nichts anderes, seines Innern, das er für wunderbarer hielt als alles, was die äußre Welt zu bieten hatte“.

2.1.4 Grenouille der gescheiterte Herrscher
Angekommen in Grasse, vernimmt seine Nase wieder einen so göttlichen Geruch wie ihn nur Mädchen, besonders rothaarige, verströmen. Seine Aufgabe für die nächste Zeit liegt nun vor ihm: die Konservierung dieses Duftes und dem weiterer 24 Mädchen um daraus die Kreation eines „Duft[es] aller Düfte“ zu erstellen um die Menschen da zu packen, wo sie sich nicht wehren können ohne zu ersticken: im Riechzentrum, dem vegetativen Auslöser für Instinkte und Emotionen. „Grenouille ist [nun] von einem Totalitätsanspruch beseelt, welcher der Machtbesessenheit der großen Zerstörer unseres Jahrhunderts gleicht“38. Er ist nicht in der Lage, für die Mädchen und deren Angehörige Mitleid zu empfinden, hat er ja selbiges nie gezeugt bekommen. Er sieht die jungen Frauen als „Objekte“39, die um seinem Zweck dienen zu können, getötet werden müssen. Was ihm in Paris verwehrt blieb, ist ihm nun mit der „kalten Enfleurage“, der perfektesten Methode einem Objekt den Geruch zu entreißen möglich [Diese Technik lernt er bei Madame Arnulfi, einer Parfumeurswitwe, die ihm während seiner Zeit in Grasse Verpflegung und Unterschlupf gewährt; Anm. d. Verf.]. Beim Töten des Mädchens, dessen Duftpartikelchen er als erstes in Grasse vernommen hatte, das er sich als die Krönung zum Schluss aufbewahrt hatte, ist er jedoch zu leichtsinnig, kann identifiziert und gefasst werden. Vorher hat er jedoch noch Zeit, ihr den Duft zu entreißen und ein perfektes Parfum, seinen persönlichen Geruch, seine persönliche Identität zu kreieren. Grenouille ist nun in der Lage, seine Vision von seiner inneren Traumwelt in die Realität zu portieren. Es liegt jetzt in seiner Macht, wie es vorher die der Mädchen war, sich die Menschheit Untertan zu machen. Er sieht sich am Ziel seiner Bemühungen. Er kann sich selbst eine persönliche Note, was in diesem Falle wörtlich gemeint ist, eine Duftnote nämlich, anfertigen. Am Tag seiner Hinrichtung umgibt er sich damit und die von ihm vorausgesehene Reaktion tritt ein: die Menschen, die noch am Morgen von seiner Schuld überzeugt waren, waren sich nun sicher, das liebliche Wesen auf dem Kreuz „könne unmöglich ein Mörder sein“40 [Man erkenne hier eine weitere Parallele zur Bibel; Anm. d. Verf.]. Sie machen ihn frei und geben sich ihrem „unheimlichen Gefühlsrausch hin. Während die Menschen eine noch nie dagewesene Orgie feiern, hat Grenouille ein weiteres, fürchterliches Erlebnis. Grenouilles einfache Devise, „Was nicht riecht ist auch nichts“, wird ihm nun selbst zum Verhängnis. Sein inneres Imperium ist wertlos, konnte er mit den darin befindlichen Düften doch seinen eigenen nur vortäuschen43, ihn sich aber nicht zu Eigen machen, was für den geruchslosen „Geruchsmenschen“44 Grenouille implizierte, dass auch er ein Nichts war. Wie damals in der Höhle fühlte er wieder diese panische Angst als er an seinem eigenen –nicht vorhandenen-Geruch fast erstickte. Nur dieses Mal rettete ihn kein Schrei, denn er befand sich bereits in der realen Welt, die ihn vormals gerettet hatte45. Als Grenouille endlich ein Mitglied der Gesellschaft geworden ist und ihre Umgangsformen beherrscht; als er mit der Schaffung eines Parfums eine geniale Meisterleistung vollbracht hat, führt ihn die schmerzliche Einsicht in der Stunde seines größten Triumphes zur persönlichen Katastrophe. Es ist ja nicht Grenouille, den die Menschen verehren, sondern sein Parfum, dem sie verfallen sind46 . Enttäuscht und zutiefst deprimiert, dass die Verwirklichung seines Lebenstraumes einen solchen Ausgang genommen hat, beschließt er, nach Paris an den Ort seiner Geburt zurückzukehren. 1767, nach 28 Jahren schließlich kehrt er dorthin zurück, wo er damals von seiner Mutter zum Sterben liegen gelassen worden war. „Es war wie am Tag von Grenouilles Geburt.“47 Er übergießt sich mit seinem Parfum auf das das umherlungernde Gesindel ihn liebt, so sehr liebt, dass jeder ein Stückchen von ihm besitzen will und sie ihn schließlich zerfleischen. „Damit war sein Ziel endlich erricht, den [sic!] sein Ziel war es seit einiger Zeit: TOD ZU SEIN“.48 Mit dem Satz „Sie hatten zum ersten Mal etwas aus Liebe getan.“49 , bezogen auf das Gesindel, schließlich beschließt Patrick Süskind sein Werk.

2.2 Identität und ihre Wertigkeit für die Menschheit
Im Umgang mit anderen Menschen und dem Verhältnis eines jeden zu sich selbst ist der Begriff „Identität“ von zentraler Bedeutung, oft im Zusammenhang mit Selbstwertgefühl und Selbstfindung verwendet, da diese in engem Zusammenhang stehen. Besonders beim Prozess der Findung des persönlichen Selbst, seines „Ich“, ist das Selbstwertgefühl ein entscheidender Faktor. In diesem Kontext spricht man von „negative[n] und positive[n] Emotionen“ , die das Selbstbild beeinflussen, es einerseits bei seiner Entwicklung unterstützen, aber andererseits den Menschen sich als minderwertig degradieren lassen. Darauf muss besondere Rücksicht genommen werden, sind doch häufige Erfahrungen mit negativen Emotionen ein Faktor bei der Entschließung zum Freitod. So liegt die Selbstmordrate bei 9% aller gestorbenen Jugendlichen. Diese drastische Ausprägung bei Jugendlichen gründet sich auf der in der Pubertät, die jeder junge Mensch durchlebt, notwendigen Neuorientierung. Die Eltern treten in den Hintergrund, der Freundeskreis als soziale Gruppe nach vorne, für dessen Aufnahme eine ausgeprägte personale wie soziale Identität unerlässlich sind. Eben dies macht es Jugendlichen schwer, die während dieser Zeit mit vielen weiteren Problemen der Adoleszenz zu kämpfen haben: die Orientierung auf das andere Geschlecht, körperliche Veränderungen und eine geänderte Sichtweise des eigenen Lebens. Alle diese Faktoren müssen die Heranwachsenden auf ihrem Weg zu ihrer Identität berücksichtigen, deren Grundsteine bereits die Eltern legen sollten, damit ein Kind sich normal entwickelt-was bei unserem Grenouille nicht der Fall war, er empfing nur Hass und Ablehnung welche ihm nun als Unterlage für seine neue Identität dient. So wird der Hass zu seinem einzigen wahren Gefühl.

2.2.1 Ebenen der Identitätsfindung bei Jugendlichen
Bei der Findung der eigenen Identität ist ein weiterer Ausdruck wichtig, die Selbstreflexion, also das Feedback, das das Individuum von seiner Umwelt auf seine Aktionen und Veränderungen erhält. Vorraussetzung für die Selbstfindung „ist eine Erweiterung des Bewußtseins nach innen“54. Daraus ergeben sich Fragen, die sich der Suchende stellen muss:

1. Wie bin ich? (Frage nach der subjektiven Identität)
2. Wie stelle ich mich mir persönlich vor? (Frage nach der wünschbaren Identität)
3. Für wen hält man mich? (Frage nach der zugeschriebenen Identität)
Auf Basis der gegebenen Antworten ist man in der Lage, sich einen „Lebensplan“ zu erstellen um seine Identitätsvorstellungen zu erreichen.

2.2.1.1 Die „reflexive“ Ebene der Identitätsfindung
Während dieser Phase finden ein Ausbau der intellektuellen Fähigkeiten und eine Erweiterung des geistigen Horizonts statt. Man ist nun in der Lage, sich selbst und seine Fähigkeiten kritisch einzuschätzen.

2.2.1.2 Die „akzeptative“Ebene der Identitätsfindung
In diesem Stadium nimmt sich die Person als ihr Selbst an, „bejaht“59 das eigene Leben. Davor steht jedoch oft die Frage nach dem eigenen Wert.60 Um dies erfolgreich beantworten zu können ist ein gesunder Kontakt zur Umgebung nötig, die ein wahrheitsgetreue Einschätzungen der eigenen Person liefern kann, worauf man diese mit der eigenen Wunschvorstellung vergleichen in der Lage ist. Kann sich der Mensch nicht in diesem Bild wieder erkennen, führt dies oft zum Aufbau von Feindbildern. Andererseits ist mit der Selbstannahme ein Wachsen des Selbstvertrauens61 und des Selbstwertgefühls zu verzeichnen. Dies gelingt Grenouille nicht, er droht „an sich selbst zu ersticken“.

2.2.1.3 Die „soziale“Ebene der Identitätsfindung
In dieser Phase ist das Individuum sehr stark an Kontakten zu Gleichaltrigen interessiert, Jugendliche versuchen während dieser Zeit von ihren Eltern Abstand zu nehmen, identifizieren sich mehr mit „ihrer“ Gruppe, so genannte „Peer Group[s]“. Sie wollen dort Dinge erleben und verwirklichen, die ihnen in ihrem Schul-oder Arbeitsalltag verwehrt bleiben. Das führt häufig zu gravierenden Persönlichkeitsveränderungen. Allerdings kann der Jugendliche auch nach mehr Unabhängigkeit streben, wovor er gleichzeitig Angst hat, er zweifelt, der Herausforderung gewachsen zu sein. Hier bekommt eine gesunde Beziehung zum Elternhaus erneut Gewicht, die diese Identitätskrise abpuffern kann.

2.2.2 Ausprägungen der menschlichen Identität
Mit Identität will man das Auftreten eines Menschen in seiner Umwelt (das „soziale Selbst“) und das Verhältnis eines Individuums sich selbst gegenüber (das „personale Selbst“) beschreiben. Beide lassen sich zur „Ich-Identität“ vereinigen.

Nach der Selbstfindung will der Mensch automatisch seine neue Identität und damit die für ihn nun entscheidenden Werte repräsentieren. Er will sich abgrenzen und differenziert von seiner Umwelt werden, so dass er als Individuum mit allen Eigenheiten und Fähigkeiten deutlich zu identifizieren ist. Auch Grenouille hat sich seit seiner Geburt von seiner Umgebung abgegrenzt, auch er versuchte, sich der Anerkennung der Menschheit zu versichern. Auf Grund seines Makels, der ihm soziale Kontakte unmöglich machte, sah er die Erfüllung seines Traumes nur in der Beherrschung der Menschen. An diesem Ziel angelangt, wird ihm jedoch klar, dass die Menschen sich nicht von im beherrschen lassen, sondern von den Mädchen, denen er einst den Duft raubte. Er ist also ein klassischer Fall eines Menschen, der auf der Suche nach seiner eigene Identität die anderer stiehlt und an dieser Erkenntnis zerbricht.

2.2.2.1 soziale Identitäten
Eine soziale Identität können sich Menschen aus vielen Gründen aneignen. Meist besteht das Ziel jedoch darin, sich in eine Gruppe zu integrieren. Dadurch bekommen sie ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Sicherheit und können in der Gruppe Schutz suchen, etwa vor äußeren Einflüssen wie der Kritik an der eigenen Person durch Außenstehende. Sie können sich in der Gruppe verwirklichen, ihre Fähigkeiten einbringen und darin aufgehen. Für die soziale Identifikation mit einer Gruppe und deren Zusammenhalt sind gemeinsame Vorlieben entscheidend, sei es die Fußfallmannschaft mit der am Samstagabend mitgefiebert wird oder das gemeinsame Treffen am Stammtisch zur Diskussion von Problemen, die auf Grund des oftmaligen sozialen Gleichgewichts der Gruppenmitglieder zueinander alle in gleicher Weise betreffen, etwa die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Durch eine entsprechende personale Identität innerhalb der Gruppe ist es möglich, sich eine Führungsposition in der Gruppe zu erarbeiten, womit diese Person auch verstärkt mit dieser Gruppe identifiziert wird.

2.2.2.2 personale Identitäten
Menschen kreieren sich ihre persönliche, personale Identität als Repräsentierung ihrer selbst in ihrer Umwelt. Sie soll unverwechselbar mir diesem Menschen verbunden sein. Dieser Weg ist jedoch steinig und deshalb versuchen viele in die Fußstapfen anderer Menschen zu treten und deren Identität zu kopieren. So geschehen bei –nunmehr-Stars, die den gleichen Ehrgeiz und das gleiche Talent bewiesen wie ihre Vorbilder. In der Musikbranche könnte man das Covern eines erfolgreichen Titels als kopieren der „musikalischen“ Identität des Künstlers deuten. Dies kann gelingen, was einen Schub von Selbstwertgefühl zur Folge hat70 , andererseits können sie daran zu Grunde gehen, können nicht aus dem Schatten ihrer Idole heraustreten, müssen sich eingestehen, dass sie in dieser Hinsicht versagt haben. Diese Erkenntnis führt meist zu einer tiefen Identitätskrise, da sie nun keine Perspektive für ihr Selbst mehr haben und ohne psychologische Unterstützung ihre Chance immer öfter nur in der Beendigung ihres bisherigen Lebens, leider viel zu oft durch Freitod oder Drogen, finden.

2.2.3 Möglichkeiten der Repräsentierung eines Menschen Identität
Für die Abgrenzung der eigenen Identität oder der „Peer Group“, der man angehören will zur Umwelt gibt es viele Mittel und Wege. Oft werden diese auch von Außenstehenden beeinflusst, wie etwa Idolen des Einzelnen oder der Gruppe mit der man sich identifizieren will, ohne jedoch als Individuum in dem Brei der Menschheit als Gesamtes unterzugehen. Sie wollen sich einen „Kokon“ ihres Selbst um sich erschaffen auf dem deutlich der Name und Gesinnung sichtbar sind. Die Identifikation durch einen der unzähligen Musikstile und der Gebrauch von Drogen, legalen wie illegalen, auf Grund es Gruppenzwanges oder als Möglichkeit sich in die jeweilige Traumwelt zurückzuziehen, wie es unser Grenouille praktiziert, als er sich mit den gesammelten Düften berauscht, seien hier nur am Rande erwähnt.

2.2.3.1 Identifikation über Technisches
Viele Menschen leben ihren Selbstbehauptungsdrang durch Anschaffung technischer Utensilien aus. Sie wollen ihren Wohlstand mit dem teuersten Auto und dem größten Haus repräsentieren um die viel zitierte Abgrenzung von ihrer Umwelt zu erreichen. Ein Problem entsteht jedoch ganz deutlich bei all diesen vergänglichen materiellen Dingen: es wird immer jemand geben, der einen höheren Lebensstandard vorzuweisen hat. Dies führt entweder zum Ruin falls man nun mitziehen will um sich wieder auf die gleiche Stufe der Gesellschaft stellen zu können oder auch sofort zu einer Identitätskrise, während der man sich erneut von Grund auf neu orientieren muss. Ist einem das nicht möglich kann das zum Abrutsch in die Sucht zur Betäubung der Minderwertigkeitskomplexe führen.

2.2.3.2 Identifikation über die Kleidung
Auch hier spielt der soziale Status eine entscheidende Rolle, da besonders Designerkleidung als internationales Statussymbol gilt. Mit den Marken und deren Image in der Gesellschaft ist eine Zuordnung des jeweiligen Menschen in die gesellschaftliche Struktur möglich. Doch auch als Ausdruck der Gesinnung verwendet man Kleidung. Was momentan die Punks auf den Bahnhöfen sind, waren früher die Blumenkinder der Emanzipationsbewegung mit ihrem extravaganten, oft provokativen Outfit. Kleidung ist ein vielfältiges Mittel der eigenen Repräsentation. Sie lässt sich individuell gestalten, jeder Schnitt hat ihre Bedeutung für die die Kleidung tragenden Menschen welche dadurch ihre Gefühle und ihre Gedanken veräußerlichen können. Dies kann unauffällig geschehen wie etwa durch die Wahl der Farbe oder auffallend und deshalb oft provokativ durch Schriftzüge („Zicke“, „Oben Mann, unten Legende“).

2.2.3.3 Identifikation über Sprache
Sprache ist die der wenigen kostenlosen Möglichkeiten, sich einer gesellschaftlichen Gruppe anzuschließen, etwa durch Verwendung von Wörtern aus dem Fundus des gehobenen Deutsch oder des Dialekts. Vor allem bei Jugendlichen ist die Identifikation über ihren Sprachstil sehr beliebt und deshalb auch charakteristisch. Sie empfinden es als Mittel zum Ausdruck ihrer sozialen Identität, ihres Zusammengehörigkeitsgefühls. So finden sich immer öfter im Alltagsgebrauch einstige Modewörter, die Erwachsene aus ihrer Jugendzeit mitgenommen haben. Populärstes Beispiel ist sicherlich „geil“. Auch an andere Sprachen als der Muttersprache lehnt man sich an. Hier sind besonders Anglizismen weit verbreitet. „Cool“ oder „fuck“ sind die wohl am häufigsten in diesem Zusammenhang erwähnten Worte. Reicht das nicht als Zeichen der Individuation werden auch häufig neue Ausdrücke kreiert, deren genaue Bedeutung nur die Gruppenmitglieder kennen, was die Gruppenmentalität doppelt fördert. Kurz genannt seien hier aktuelle Beispiel aus dem Umfeld des Autors: „Kömmt sö güd“, „Brad du nid glamm!“, „Zonk!“, „Schwöre!“.

Zusammenfassend ist zu sagen, ein Mensch nur dann Mensch sein kann, wenn er einerseits durch seine soziale Identität in der Gesellschaft als Mitglied seiner sozialen Gruppierung repräsentiert wird, jedoch auch eine ausgeprägte personale Identität aufwiesen kann, um sich aus der Allgemeinheit abzuheben. Grenouille war „zu individuell für diese Welt“, er konnte sich keiner Gruppe anschließen, was den Verlust jeglicher sozialer Identität bedeutete. Eine personale Identität hat er ebenfalls nie besessen. Seine Duftmaske trug er nur zum Schein, konnte sich aber nicht damit identifizieren, weshalb dies nicht als Identität im Sinne der Definition72 gelten kann. Um sich selbst akzeptieren und dadurch glücklich sein zu können, muss man sich als Individuum akzeptieren können, das hat Grenouille aber nie. Er wollte es nicht hinnehmen, dass er anders war, ohne Geruch, wollte sich vervollkommnen was ihm im Hinblick auf sein Umfeld auch gelang, nicht jedoch in seinem Inneren. Dort kann sich der äußere, betrügerische Grenouille nicht mit dem göttlichen Grenouille messen. Grenouille ist meiner Ansicht nach ein tragisch gescheiterter Held, dessen so ersehntes Lebensziel ihm im Augenblick seines größten Triumphes zuwider wird, sein gesamtes Herzblut, das er in sein Projekt „göttlicher Grenouille“ investiert hat, wertlos entschwindet wie sein göttlicher Duft, dass ein so geniales Wesen wie er ein so tragisches Ende finden muss.
Eine Frage, die mich weiter beschäftigen wird ist, welchen Werdegang Grenouille gehabt hätte, wenn ihn seine Mutter nicht verstoßen hätte sondern ihn mit Liebe aufgezogen hätte und sein Genie nicht in solch kranke Bahnen geleitet hätte. Würde er dann in den Geschichtsbüchern erwähnt werden, als der geniale Wissenschaftler Monsieur Jean-Baptiste Grenouille, der die einzigartige Gabe hatte, die Welt der Düfte zu beherrschen?

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